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Wider Gesinnungsschnüffelei – Verfassungsschutz abschaffen!

Am vorletzten Wochenende fand die Auftaktveranstaltung zur geplanten langfristigen Kampagne der Humanistischen Union zur Abschaffung des Verfassungssschutzes in Hannover statt. Sie gipfelte in einer Aktion vor dem Nds. Landesamt für Verfassungsschutz, das symbolisch mit Absperrband geschlossen wurde. Auch wir Piraten waren vor Ort, um unsere Unterstützung für dieses Ziel zu zeigen und ich durfte sogar eine kurze Rede halten [1].

Die Forderung, den Verfassungsschutz abzuschaffen, ist so überzeugend wie notwendig. Die Geschichte des Verfassungsschutzes ist nicht nur eine von Pannen und Skandalen, sondern zeigt auch, dass der Verfassungsschutz die Verfassung schützt, indem er sie mit Füßen tritt.

Ursprünglich als Bollwerk gegen einen Rückfall der Deutschen in nationalsozialistische Staatsstrukturen errichtet und im Kalten Krieg vor allem zur Abwehr des Kommunismus eingesetzt, hat der Verfassungsschutz spätestens mit dem Fall der Mauer jegliche Legitimation verloren. Aber noch heute arbeiten bundesweit mehr als 5.000 Mitarbeiter (ohne V-Männer) mit einem Budget von jährlich etwa einer halben Milliarde Euro hier und versuchen sich durch das Erfinden immer neuer Aufgaben selbst zu legitimieren [2].

Aber seit seiner Gründung hat der Verfassungsschutz seinem Namen keine Ehre gemacht. Von Skandalen über ehemalige SS-Mitglieder in seinen Reihen, die als Spezialisten angeblich benötigt wurden, über das sogenannte “Celler Loch”, bei dem von Mitarbeitern des Verfassungsschutzes ein Loch in eine Gefängnisaußenmauer gesprengt wurde, um einem V-Mann eine Legende für dessen Einschleusung in die terroristische Szene zu verschaffen, bis zu den “3 N”-Skandalen, dem NPD-Verbotsverfahren, den NSU-Morden und der NSA-Affäre hat sich der Verfassungsschutz als inkompetent und schädlich erwiesen. Unabhängig davon, was man von dem NPD-Verbotsverfahren als solchem halten mag, ist es unfassbar, dass dieses daran gescheitert ist, dass man nicht mehr sagen kann, welche verfassungsfeindlichen Äußerungen und Taten auf Mitarbeiter des Verfassungsschutzes und welche auf überzeugte Rechtsradikale zurückgehen. Dass hier verfassungsfeindliches Verhalten durch Agitation und Spitzellöhne noch gefördert wurde, ist geradezu unglaublich. Bei der NSU-Mordserie blieb der Verfassungsschutz über Jahre ahnungslos und ist so auch nicht seiner Funktion als angebliches Frühwarnsystem gerecht geworden [3]. Dass der Verfassungsschutz eng mit der NSA zusammengearbeitet und sogar deren Instrumente wie XKeyscore verwendet hat [4], überrascht dann schon nicht mehr, umso weniger, da dies vermutlich auch der Regierung bekannt war und sich so erklärt, warum diese sich erst aufgeregt hat, als bekannt wurde, dass Frau Merkels Handy abgehört wurde, denn die Überwachung von Millionen Deutschen wurde ja zumindest billigend in Kauf genommen.

Dass die Reihe der Skandale nicht noch länger ist, liegt vermutlich nur daran, dass der Verfassungsschutz unter strengster Geheimhaltung operiert. Selbst der parlamentarische Untersuchungsausschuss ist hier nichts als ein zahnloser Tiger, da dessen Erkenntnisse nicht nach Außen weitergegeben werden dürfen. Zudem ist seine Besetzung, wenn man mal von Hans-Christian Ströbele absieht, auch kein Garant für eine Kontrolle im Sinne der Bürgerrechte, da dessen Mitglieder fasst ausnahmslos stramm konservativ sind. Dass da ein Hans-Peter Uhl, der sich regelmäßig für mehr Überwachung im Internet einsetzt [5], über lange Jahre nicht fehlen durfte, versteht sich da schon von selbst. Zudem stehen dem Ausschuss nur wenige Stunden monatlich für seine Arbeit zur Verfügung. Er soll in dieser Zeit aber die Arbeit von über 10.000 Geheimdienstmitarbeitern in Deutschland kontrollieren [6]. Dass das nicht klappen kann, ist offensichtlich.

Hätte der Verfassungsschutz nicht einen so euphemistischen Namen, wäre er sicherlich längst abgeschafft. Seine Aufgaben können im Bereich der Gefahrenabwehr besser durch die Polizei ohne geheimdienstliche Mittel wahrgenommen werden, und im Bereich der Früherkennung verfassungsfeindlicher Bestrebungen haben sich die wissenschaftliche Forschung, die Zivilgesellschaft und die Presse als bessere Indikatoren und Ermittler erwiesen. Zudem sind die eingesetzten Mittel eines Rechtsstaats nicht würdig: Es gibt kaum ein Grundrecht, dass der Verfassungsschutz im Namen des Schutzes der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht regelmäßig verletzt. Er späht den Datenverkehr und die sonstige Kommunikation der Bürger sowie deren Wohnungen aus, überwacht Menschen, die sich friedlich versammeln und sammelt Daten über deren politische Meinungsäußerungen. Selbst Parlamentarier und die Presse sind vor ihm nicht sicher. Bei Einstellungen in den öffentlichen Dienst wurde und wird eine “Gesinnungskontrolle” vorgenommen und gegebenenfalls mussten Personen mit vom Mainstream abweichenden politischen Ideen sogar mit Berufsverboten rechnen. Vereinigungen werden infiltriert und Menschen wegen ihres Glaubens unter Generalverdacht gestellt. Spätestens jetzt werde vermutlich auch ich vom Vefassungsschutz überwacht, denn was könnte subversiver, ja gefährlicher sein, als den Verfassungsschutz abschaffen zu wollen?!?

In einer freiheitlichen Demokratie zu leben bedeutet aber, dass man ohne Angst vor Konsequenzen seine Meinung frei äußern und von seinem friedlichen Versammlungsrecht ohne Einschränkungen Gebrauch machen können darf. Meinungsvielfalt ist geradezu essentiell für die Entwicklung einer Gesellschaft. Dumme oder schändliche Meinungen dürfen nicht unterdrückt oder mit Gewalt bekämpft werden, sondern sind durch schlagkräftige Argumente zu entkräften und dadurch der Lächerlichkeit preiszugeben. Hier ist kein Inlandsgeheimdienst, sondern die Zivilgesellschaft gefragt.

Wir alle müssen uns dafür einsetzen, dass unsere Bürgerrechte erhalten bleiben. Und das bedeutet auch, den entbehrlichen, schädlichen und unkontrollierbaren Verfassungsschutz ersatzlos abzuschaffen. Ein “gefahrbezogener Republikschutz” kann auch ohne geheimdienstliche Mittel gewährleistet werden [7]. Deswegen hoffe ich, dass die Piraten auch weiterhin die Kampagne der Humanistischen Union hierzu unterstützen, entsprechende Forderungen in ihre Programme aufnehmen und sich dieser wichtigen Sache auch noch andere Parteien anschließen werden.

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